Die Überquerung der Monti Peloritani

Wie sie sich am 18. Mai nachmittags ereignet hat

 

Ich will nochmal an die Ostküste Siziliens. Von Norden her gibt es aber nur die Strasse der Küste entlang über Messina, oder den Weg hinunter zum Ätna und von da hinüber an den gewünschten Küstenabschnitt. Und dann gibt es da noch meine Landkarte. Und darauf ist ein kleines Strässchen direkt über die Kreten der 1'200m hohen Berge eingezeichnet. Sogar durchwegs gelb. Es wird zwar schmal werden, aber gut passierbar. Die Karte hat mich bis jetzt noch nie im Stich gelassen.

   

Hinter Santa Lucia wird es das erste Mal etwas unübersichtlich. Weil ausgeschildert ist die Pass-Strasse nicht. Aber mit Gespür finde ich den richtigen Weg und es geht in vielen Kehren den Berg hinauf. Das Strässchen ist wie erwartet sehr schmal und es herrscht absolut kein Verkehr. Ach doch, jetzt kommt ein Auto entgegen und es bleibt auch genug Platz um zu kreuzen. Wie immer gefällt mein gelber Bus den Insassen, einer italienischen Familie.

 
 
 
 

Wirklich toll die Aussicht! Einmal sieht man auf der einen Seite ins Tal, dann wieder auf der anderen. Und so hoch oben. Irgendwie scheint dieser Bergrücken höher zu sein als die benachbarten Talschultern. Ich kann schon leicht auf diese hinunterblicken. Und es geht weiter hoch. So, noch das Radio anstellen und das Erlebnis wird zusammen mit der Musik absolut Spitze!

Aha, eine Verzweigung - Hmm, auf der Karte ist keine eingezeichnet. Und wo liegt 'S. Nicola'? Hier oben gibt es keine Ortschaften mehr... aber nach links steht ganz klar etwas mit 'Mandanici' und das ist der Ort wo ich hin will. Es ist der erste Ort auf der anderen Seite des Massivs. Weiter geht es also nach links, immer über den Bergrücken ansteigend hinauf.

   

Eigentlich könnte ich ja fotografieren? Nein, so toll ist es nun auch wieder nicht, und die Aussicht ist sehr diesig. Das kann ich dann noch ganz oben machen, auf dem Höhepunkt. Aber die Frage erübrigt sich vorerst: der Asphaltbelag hört auf. - Ach, das wird nur ein kleiner Unterbruch sein, weil der Regen Steine und Sand auf die Strasse geschwemmt hat? Und tatsächlich, es kommt wieder Asphaltbelag. Ich wusste es doch!

 
 
 
 

Um genau zu sein: es folgen noch einmal 150 Meter Teer, dann ist endgültig Sense mit Asphalt. - Und jetzt? Was kann schon ein bisschen Schotterstrasse dem Bus anhaben? Auf Island bin ich davon schon mehrere Tausend Kilometer gefahren. Also geht es weiter den Berg hoch auf einem Feldweg. Es wird steiler.

Ich würd sagen, es wird zeitweise verdammt steil. Vor allem die grossen Steine und die komplett ausgewaschene Fahrrinne erfordern sämtliche Konzentration. Weil rechts geht es den Berg hinunter - tiiiief hinunter. Na im Notfall kann ich immer noch umkehren. Es gibt nach wie vor Plätze wo umdrehen möglich ist, zudem kann ich eigentlich überall wenden, sofern die Strasse breiter ist, als der Bus lang.

Und es kommt weitere Zuversicht auf. Gegenverkehr! Ein Allrad-Pickup eines Bauern rumpelt heran. Wir kommen sogar aneinander vorbei. Interessiert beobachte ich den Mann und erwarte ein Kopfschütteln oder sonst ein negatives Zeichen, dass ich es wage, hier hochzufahren. Nichts dergleichen! Es muss also absolut normal sein, dass hier zwischendurch normale Autos vorbeifahren. Oder war der Mann einfach nur cool?

Der Mann war cool. Die Strasse kann man bestenfalls noch als breiteren Bergweg bezeichnen. Nur noch grosse Steine und auch blanker Fels. Es gilt die nächste Höhenstufe zu erklimmen. Ab jetzt alles nur noch im ersten Gang. Weitere fünf Kehren. Langsam habe ich ein ziemlich ungutes Gefühl. Es dürfe mittlerweile etwa die Hälfte des Weges sein und es geht noch weiter hoch.

   

Der Weg scheint in einem stark von Erdrutschen gefährdeten Gebiet zu verlaufen. Immer wieder wird es brenzlig schmal und die Befestigung am Wegrand macht keinen soliden Eindruck. Und immer wieder die grossen Steine. Entweder ich steige aus und räume sie zur Seite oder fahre darüber hinweg, aber so, dass sie nicht am Innenrand eines Rades anstehen. Denn da liegen die Steuerung, die Bremsleitungen und die Antriebswellen... Aber anhalten ist so gut wie das Ende! Anfahren an diesem rutschigen Berg würde nicht mehr gehen. Und bei Stillstand unkontrolliert rückwärts rutschen? Alles schon gehabt. Nein nein, besser weiter fahren.

 
 
 
 

Oben! Jetzt bin ich auf der Hauptkrete. Sogar die Verzweigung auf der Landkarte stimmt immerhin wieder. Ich müsste eigentlich nach rechts. Auf dem verwitterten Wegweiser steht etwas von 'Leone' - kenne ich nicht. Egal, im Schritt-Tempo geht es weiter nach rechts. Das Radio läuft immer noch. Fahre ich auf der einen Seite der Krete ertönt der eine Sender, schüttelt es mich auf der anderen Seite, so kommt auf der gleichen Frequenz ein anderes Programm. - Diese Strasse da vorne am Berg mit den zwei Kehren sieht gar nicht gut aus, aber auf die höchste Bergspitze muss ich nicht hoch?

Natürlich muss ich da hoch. Es gibt ja keine andere Strasse als diese. 'Hey, willst du da wirklich noch hochfahren?' frage ich mich. Alles zurück? Das ist mindestens genau so schlimm. Notfalls könnte ich hier oben übernachten. Besser nicht. Es sieht schwer nach Gewitter aus und direkt auf der Krete am höchsten Punkt übernachten? Es gibt nur eines: ich muss da durch.

Umkehren geht nach diesen zwei Kehren definitiv nicht mehr. Vorwärts bin ich noch durch die Geröllpassagen hinauf gekommen. Rückwärts wird das unmöglich, der Bus würde unten anstehen. Schöne Aussichten! Nur eben die Aussicht kann ich absolut nicht mehr geniessen, obwohl man nun auf beide Seiten der Insel blicken kann. So allmählich wird mir ganz unwohl. Der kalte Schweiss steht mir auf der Stirn. Zum Glück fährt niemand mit. Da bin ich mir nur selber Rechenschaft schuldig.

Ein Tor versperrt den Weg! Es ist ein Weidetor und es ist unverschlossen. Irgendwas mit 'divieto' steht darauf. Verboten! Ja, das hat mir noch gefehlt... Vorsichtshalber gehe ich zuerst zu Fuss ein paar Meter um die Strassenbiegung, um den weiteren Weg zu begutachten. Irgendwie scheint es darauf nicht mehr so grosse Steine zu haben und auch sonst scheint der Fahrweg besser unterhalten zu sein.

Ich öffne das Tor, fahre durch und schliesse das Gatter hinter dem Bus. Der Weg ist tatsächlich 'etwas besser' und vor allem führt er hinunter! Zudem stehen die Verbotschilder wiederholt am Strassenrand. Das Verbot scheint also eher der Jagd oder dem Wald zu gelten, als der Strasse.

   

Es geht definitiv hinunter! Heute Abend werde ich eine Weinflasche aufmachen, wenn ich diese verruchte Strasse erfolgreich hinter mir habe. Das schwöre ich mir. Links unten ist bereits ein Ort zu sehen. Tiiiiief unten - und die Strasse führt vor allem wieder hoch! So ein Gurk...

 
 
 
 

Eine weitere Verzweigung: die leicht bessere Fahrspur geht gerade aus weiter, die Schlechtere links weg. Gemäss Karte erkenne ich, wo ich bin. Gerade aus geht es nochmal 30km so weiter, nach links muss bald das Tal mit dem Ort 'Mandanici' erscheinen. Ich fahre ungern nach links, mittlerweile ist aber sechs Uhr abends vorbei. In einer Stunde beginnt es dunkel zu werden und auch die Wolken werden immer dunkler.

Ich fahre nach links und überquere eine weitere Krete und von da an geht es abwärts. Es kommt Wald! Schön! Die Fahrspur lässt wieder eine Fahrt im zweiten Gang zu. Und dann kommt sogar ein Picknick-Platz! Es geschehen noch Zeichen und Wunder.

Puhhh! Nur schnell raus aus dem Tal bevor der Regen kommt. Die Strasse wird sich in einen reissenden schlammigen Bach verwandeln. Stück für Stück geht es abwärts in einem von Erdrutschen durchzogenen Gebiet. Nach wie vor kein Asphaltbelag.

   

Jetzt, 20 Minuten später und 500 Höhenmeter tiefer ist der Beginn der Asphaltstrasse erreicht. Ich atme auf! Auch der Regen hat noch nicht eingesetzt. Nur noch weiter jetzt, auf den nächsten Camping-Platz und in Ruhe duschen und den verdienten Wein geniessen.

Dieser Abend hätte anders enden können!

 
 
( PS: die meisten Bilder sind bei der 'harmlosen' Abfahrt entstanden. )